Blackout-Vorsorge: Der Teufel steckt im Detail
Wie so oft hat sich bei einer Übung des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) wieder einmal die Redewendung „Der Teufel steckt im Detail“ betätigt. Der Kommandant der Garde hat schon an verschiedenen Planspielen rund um das Thema Blackout teilgenommen. Nun wollte er aber wissen, was sich tatsächlich abspielt, wenn der Strom einmal länger aus ist. Dazu ordnete er eine mehrtägige „Blackout-Übung“ für seinen Verband an.
Mehrere Gebäude in der Maria-Theresien-Kaserne in Wien wurden vom Strom genommen. Man wusste bereits von einem lokalen Stromausfall, dass man auf die Fluchtwegebeleuchtung achten muss. Damals kam es durch die Tiefentladung der Akkus zu einem Totalschaden. Laut Hersteller dürfte das nicht passieren, weil eine Sicherheitsabschaltung eine Tiefentladung verhindern müsste. Die Realität war eine andere.
Heizung
Durch Vorgespräche wusste man, dass die Heizung nicht abgedreht werden darf, da es ansonsten zu Schäden kommen würde. In diesem Fall war die gemeinsam genutzte Heizung aller Gebäude der Liegenschaft in die Beurteilung aufzunehmen, da es zu einem Ungleichgewicht im Heizungssystem kommen könnte. Eine wichtige Erfahrung in der Vorbereitung lautet: „Vor Übungen gibt es viel über die Infrastruktur und deren Zusammenhänge zu bedenken, um nicht unnötige Schäden zu provozieren.“ So kann manche Feuerwehr davon berichten, wie etwa einmal durch zu viel Schwung beim Öffnen des Rolltores das ganze Tor auf dem Feuerwehrauto gelandet ist. Oder, die Brandmelder gaben während der Stromabschaltung einen Dauerwarnton ab. Aufgrund der Erfahrung mit der Fluchtwegebeleuchtung entschloss man sich, diese vorsichtshalber wieder in Betrieb zu nehmen. Daher ist damit zu rechnen, dass es bei einem längeren Stromausfall durchaus zu erheblichen Schäden bei Sicherheitseinrichtungen kommen kann.
Wasser
Schwerwiegender war die Erfahrung, dass die modernisierten Duschen, Wasserhähne und Pissoir-Spülungen mit berührungslosen Armaturen nicht mehr funktionierten. Ein wichtiges Hygienisches Detail insbesondere in Zeiten von COVID-19. Ohne Strom kein Wasser! Auf so etwas stößt man nur in einer realen Übung und würde in einem Planspiel vermutlich nicht beachtet werden. Diese Erkenntnis hat weitreichende Auswirkungen auf viele Sanitäreinrichtungen im Zivilen wie Hotels, Bürogebäuden, Raststätten etc. In Neubauten werden in der Regel berührungslose Armaturen mit Netzanschluss verbaut. Bei Sanierungen kommen, wenn keine Steckdose vorhanden ist, batteriegepufferte Systeme zum Einsatz, berichten Hersteller. Daher immer wieder die Warnung vor Aussagen wie, „die Wasserversorgung funktioniert“. Der Teufel steckt im Detail und für die betroffenen Menschen ist es unerheblich, ob die Hauptwasserleitung funktioniert, wenn beim Wasserhahn kein Wasser fließt. Egal ob durch eine berührungslose Armatur, eine private Drucksteigerungsanlage oder durch zu wenig Druck in den oberen Geschoßen das Wasser ausbleibt. Daher ist generell eine Trinkwasserbevorratung zu empfehlen, auch wenn die Wasserversorgung bei einem Blackout grundsätzlich vielerorts funktionieren wird.
Abwasser
Auch das Thema der privaten Abwasser-Hebeanlagen sollte stärker thematisiert werden, da es in Österreich rund 200.000 davon geben soll. Das bedeutet, dass wohl viele Keller oder Erdgeschosswohnungen mit Schmutzwässern überflutet werden, wenn man nicht vorsorgt. Auch da hilft es wenig, dass der öffentliche Kanal funktioniert. Die betroffenen Menschen haben ein Problem.
Elektronische Zutrittssysteme
Eine weitere Erfahrung war, dass elektronische Schließsysteme und alarmgesicherte Einrichtungen bei Stromausfall verriegeln und ein Zutritt oder der Zugriff auf wichtige Ressourcen nicht mehr möglich ist. Klingt banal. Aber wie oft wird wirklich daran gedacht und eine Umgehungsmöglichkeit vorgesehen? Wenn keine Ersatzmöglichkeiten vorgesehen sind oder nicht getestet wurden, wird man im Anlassfall mit Sicherheit eine Überraschung erleben. Hand aufs Herz, wie sieht das in ihren Bereichen aus?
Notstromaggregat
Eine bittere Erfahrung war, dass fünf von sechs Kleinnotstromaggregaten binnen der ersten 12 Stunden Notstrombetrieb ausfielen und in der Werkstätte wieder in Stand gesetzt werden mussten. Auch hier ist nicht davon auszugehen, dass das nur beim Bundesheer passieren wird, deren Geräte sogar regelmäßig gewartet werden.
In Berlin-Köpenick versagte bei einem 31-stündigen Stromausfall im Februar 2019 das Notstromaggregat des Krankenhauses bereits nach sieben Stunden. Schuld war ein Elektronikbauteil. Das Gerät war gerade einmal zehn Jahre alt und wurde regelmäßig getestet. Ein anderes mobiles Notstromaggregat, das bei der Abwasserentsorgung eingesetzt wurde, brannte ab.
Leider gibt es noch viel mehr Beispiele, bei denen Notstromeinrichtungen versagten. Gerade bei einem längeren Einsatz während eines Blackouts werden das keine Einzelfälle bleiben.
Bei Neubeschaffungen von Notstromaggregaten kommen durch die Emissionsvorgaben (Stufe V) noch weitere Aspekte hinzu. Diese neue Generation an Generatoren müssen mit 75 bis 95 Prozent Leistung betrieben werden, da die Abgasreinigung ansonsten nicht friktionsfrei funktioniert und die Anlagen automatisch abschalten. Offensichtlich sitzen im Normierungsgremium Leute, die von einem Krisenbetrieb keine Ahnung haben.
Daher auch immer wieder die Aufforderung: Auch, wenn es eine geplante Absicherung gibt, muss es in kritischen Bereichen, wie etwa bei der Wasserversorgung, auch einen Plan C geben. Was ist zu tun, wenn der Plan B, versagt. Denn während eines Blackouts wird man kaum mehr etwas kurzfristig organisieren können, da nur wenige Kommunikationskanäle und kaum Ressourcen zur Verfügung stehen werden. Es wird nicht möglich sein, einfach zum Hörer zu greifen oder ein E-Mail zu schreiben, wie man das in anderen Krisenlagen gewohnt ist.
Treibstoff
Negative Erfahrungen gibt es auch bei der Treibstofflagerung. 2014 wurde in Deutschland eine Studie durchgeführt, wo die Qualität von Treibstoffen für Notstromeinrichtungen getestet wurde. Die Erkenntnis: Fast 60 Prozent des Treibstoffbestandes war unbrauchbar, da Treibstoff altert und Bio-Diesel nach mehreren Monaten ausflockt. Eine andere häufige Erfahrung ist, dass Treibstofftanks selten voll sind. Die Differenz ist oft gravierend. Das bedeutet, in der Planung wird der maximale Tankinhalt und nicht die reale Situation berücksichtigt. Um Kosten zu sparen und um gleich größere Mengen einkaufen zu können, wird der Tank soweit als möglich entleert, bevor er wieder befüllt wird. Zum falschen Zeitpunkt erlebt man dann eine ziemlich böse Überraschung. Daher sollte nicht das theoretisch verfügbare Fassungsvermögen, sondern der minimale Betriebsmittelstand für die Planungen herangezogen werden. Fahrzeuge sollten etwa auch möglichst immer aufgetankt oder zumindest halbvoll abgestellt werden, um damit noch jederzeit einen Handlungsspielraum zu haben.
IT-Komponenten
Besonders gravierend sind potenzielle Hardwareschäden an Netzteilen oder sonstigen IT-Komponenten durch Kurzausfälle oder Spannungsschwankungen. Vor allem, wenn diese permanent in Betrieb sind, also im Infrastrukturbetrieb. Hier gibt es zahlreiche Erfahrungen, wo bis zu 30 Prozent Hardwareschäden aufgetreten sind, was bei einem Blackout zu einer sehr schwerwiegenden Folgekrise führen könnte. Denn ohne IT und Telekommunikation funktioniert so gut wie gar nichts. Und die Kette ist bekanntlich so stark, wie ihr schwächstes Glied. Erwartbare, schwerwiegende Ausfälle und Störungen im Telekommunikationssektor könnten den Wiederanlauf der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern erheblich verzögern und sogar gefährden. Denn ohne Synchronisation gibt es weder eine Produktion noch Warenverteilung.
In einer Gemeinde hat eine wichtige Komponente durch einen Stromausfall die Konfiguration verloren. Die Telefonanlage und das Computernetzwerk funktionierten nicht mehr. Auch bei der Übung des ÖBH wurde festgestellt, dass Netzwerkdrucker, wenn diese offline verwendet wurden, nur mehr mit IT-Fachpersonal und entsprechendem Zeitaufwand, wieder in das Netzwerk eingebunden werden konnten.
Krankenhaus
Eine andere Erfahrung stammt aus einem größeren Krankenhaus, wo man sich in einer Ersteinschätzung sicher war, dass man auf ein Blackout vorbereitet sei, weil man fast das ganze Haus 72 Stunden notstromversorgen kann, was durchaus eine Ausnahme darstellt, da nur eine 24-stündige Notstromversorgung vorgeschrieben ist und zusätzlich oft nur die wichtigsten Einrichtungen notstromversorgt werden können. Besonders bitter war die Erkenntnis, dass bereits am zweiten Tag keine gewohnten Operationen mehr durchgeführt werden könnten. Im Zuge einer Detailanalyse zeigte sich nämlich, dass betriebswichtige Güter täglich angeliefert werden. Die Lagerhaltung wurde in den letzten Jahren fast überall aufgrund des Kostendrucks heruntergefahren. Noch kritischer war dann die Erkenntnis, dass auch bei überlebenswichtigen Infusionen nur mehr ein zu geringer Puffer zur Verfügung steht, um eine zweiwöchige Notversorgung aufrecht zu erhalten können. Die Eigenherstellung musste vor mehreren Jahren aufgrund der Kritik des Rechnungshofs eingestellt werden. Nun ist man von Lieferungen aus dem Ausland abhängig. Als Sofortmaßnahme werden nun die Kapazitäten aufgestockt, um zumindest eine zweiwöchige autarke Notversorgung aufrechterhalten zu können. Das betrifft auch die Versorgung mit Lebensmitteln. Diese sind heute auch in Gesundheitseinrichtungen oft nur für wenige Tage vorrätig.
Resümee
Diese wenigen Beispiele sollen verdeutlichen, wie wichtig eine ganzheitliche Blackout-Vorsorge ist. Und auch wenn alles gemacht und vorbereitet wird, bleiben Unsicherheiten bestehen, da die gesamte Komplexität und die vielschichtigen wechselseitigen Abhängigkeiten nur selten erfasst werden können. Daher wird nun auch in diesem Spital überlegt, bei einem Blackout nur mehr eine absolute Notversorgung aufrechtzuerhalten, um unerwarteten Problemen und Ausfällen vorzubeugen. Vor allem auch, um Ressourcen zu sparen, da im Vorhinein nicht absehbar ist, wie lange die Lieferunterbrechungen dauern werden. Damit kann man, wenn es die Ressourcenlage wieder zulässt, wesentlich rascher und geordneter zurück in einen Normalbetrieb übergehen. Diese Einsicht muss aber in vielen Bereichen erst gewonnen werden.
Für den Kommandanten der Garde hat sich damit einmal mehr bestätigt, dass nur das funktionieren wird, was man geübt und überprüft hat. Positiv war zum Beispiel, dass die eigene Tankstelle noch über eine Handpumpe verfügt und daher auch ein Tanken ohne Strom möglich ist. Der erhobene Bedarf an Notstromaggregaten und Heizkanonen wird das Bundesheer wohl noch länger beschäftigen, da dieser nicht nur die Garde betrifft. Erfreulich ist zumindest, dass dafür ab 2021 ein Budget vorgesehen ist. Bis wieder alle Verbände des Bundesheeres für zumindest zwei Wochen autark sind, wird wohl noch etwas Zeit vergehen. Aber gerade deshalb war die Übung auch für das Bundesheer ein Erfolg, weil sie die tatsächlichen Lücken aufgezeigt hat. Genau genommen sollte jeder Verband bzw. jede Einsatzorganisation oder auch die KRITIS-Betreiber eine solche Übung durchführen. Nur so können die lokalen Probleme erfasst und rechtzeitig behoben werden. Dabei ist auch ein ehrlicher und transparenter Umgang mit den Erkenntnissen entscheidend. Denn schlimmer als Unsicherheit ist Scheinsicherheit. Wir sollten daher aufhören, falsche Erwartungen zu wecken. Sätze wie, „Wir sind sehr gut“ oder „auf alles vorbereitet“ werden spätestens in bzw. nach der Krise zu einem massiven Vertrauensverlust führen. Das haben wir nicht notwendig.
Auch die Militärakademie hat nun einen wichtigen Schritt gesetzt und alle Angehörigen der Akademie zur persönlichen Vorsorge aufgefordert. Denn nur wer seine Familie in Sicherheit und versorgt weiß, wird auch „Schutz und Hilfe“ leisten können. Auch dieser Schritt kostet nicht viel und trägt wesentlich zur Erhöhung der Handlungs- und Einsatzfähigkeit bei. Jeder von uns kann etwas beitragen, egal ob durch die Vorsorge in der Familie oder durch eine Übung im Verband. Nur tun müssen wir es. Und Übung macht den Meister.
Über den Autor:
Herbert Saurugg, MSc, Major a. D. ist internationaler Blackout-, Energie- und Krisenvorsorge-Experte, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), Autor zahlreicher Fachpublikationen. Er beschäftigt sich seit rund 10 Jahren mit der steigenden Komplexität und Verwundbarkeit lebenswichtiger Infrastrukturen sowie mit den möglichen Lösungsansätzen, wie die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wieder robuster gestaltet werden kann. Er betreibt dazu einen umfangreichen Fachblog unter www.saurugg.net und unterstützt Gemeinden und Organisationen bei der Blackout-Vorsorge.
Link zu den Checklisten von Herbert Saurugg: https://www.saurugg.net/leitfaden